Das sagen Studien

Analyse: Wie geht es unseren Kindern, Jugendlichen bzw. jungen Erwachsenen? Das sagen Studien:

Hier finden Sie die Kurz-und die Langfassung unseres Papiers zur Kindergesundheit.

Am 8. Februar 2023 hat das Bundeskabinett den Bericht einer interministeriellen Arbeitsgruppe „Gesundheitliche Auswirkungen auf Kinder und Jugendliche durch Corona“ (FN 1, Link) zur Kenntnis genommen. Darin werden die teilweise schlimmen und besorgniserregenden Auswirkungen, die die Coronazeit für Kinder und Jugendliche, aber auch für junge Erwachsene, zur Folge hatte, bilanziert. Der Bericht wurde auch im Bundestag vorgestellt. Zitat:

„Die Pandemie ist wahrscheinlich an keinem Kind oder Jugendlichen spurlos vorüber gegangen. Besonders hart traf es aber diejenigen, deren Aufwachsen schon vorher von Belastungen geprägt war“.

Das Papier konzediert – unter anderem – einen direkten Zusammenhang zwischen den Restriktionsmaßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus und einem stark gestiegenem Ausmaß psychi­scher Belastungen und Erkrankungen. Zitiert wird beispielsweise eine europaweite Studie des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (BiB, FN 2, Link), derzufolge Depressionssymptome bei Kindern und Jugendlichen während der Schulschließungen zu 75 Prozent häufiger auftraten als vor der Pandemie. In Deutschland waren die Schulen im weltweiten Vergleich besonders lange geschlossen.

Aber auch der Schulbetrieb unter Corona-Maßnahmen wirkte belastend; hier ergaben die Studiendaten eine Steigerung von Depressionssymptomen um 27 % ggü. der Zeit vor der Pandemie. Auch nach dem Ende eines Großteils der Maßnahmen liegen die Werte für Depressions­symptome bei Kindern und Jugendlichen weiterhin teilweise deutlich über denjenigen von vor der Pandemie.

Krankenkassendaten (FN 3. Link) belegen laut IMA-Bericht darüber hinaus, dass es auch bei den ärztlich diagnostizierten Störungen in bestimmten Alters- und Geschlechtsgruppen teilweise deutliche Anstiege gab, so z.B. bei Essstörungen (+54 % ggü. 2019 bei Mädchen zwischen 15-17 J.); bei Depressionen (+23 % bei Mädchen 10-14 J. sowie +18 % bei Mädchen 15-17 J.) sowie bei Angststörungen (+24 % bei Mädchen 15-17 J.).

Bei Jungen und Mädchen gab es teilweise deutliche Zunahmen bei Neuerkrankungen an Adipositas. Hier lagen die 15-17jährigen Jungen mit +15 Prozent laut ärztlicher Diagnosen vor den gleichaltrigen Mädchen („nur“ + 6 Prozent; die Zahlen beziehen sich auf den Anstieg im Jahr 2021 ggü. 2019). Aber auch jüngere Kinder und Jugendliche legten an Gewicht zu – Grund waren Bewegungsmangel und erhöhter Süßigkeitenkonsum, auch im Zusammenhang mit stark erhöhten Bildschirmzeiten und fehlender Tagesstruktur.

Eine früh erworbene Adipositas, das zeigen Zahlen des Robert-Koch-Institutes, ist oft schwer zu bekämpfen und erhöht das Risiko für Herz-Kreislauferkrankungen, Gelenkbeschwerden, Typ-2-Diabetes, sowie Atemwegserkrankungen.

Nicht intendierte Maßnahmeneffekte und unentdeckte Krankheiten

Adipositas bewirkt außerdem, dass Kinder, die normalerweise wegen ihrer Altersgruppe nicht zur Covid-19-Risikogruppe gehörten, dennoch gefährdet waren, an Covid-19 schwer zu erkranken. Die Maßnahmen zur Bekämpfung des Corona-Virus haben also durch die damit verbundenen Gewichtszunahmen das Risiko einer schweren Erkrankung bei Jüngeren erhöht und nicht gesenkt. Eine bittere Wahrheit.

Insgesamt gingen Kinder und Jugendliche in der Pandemiezeit seltener zum Arzt, so dass auch unentdeckte Störungen und Erkrankungen zu vermuten sind.

Ergebnisse einer BMG-Studie zu Drogenkonsum

Nicht im IMA-Papier thematisiert wird der gestiegene Drogenkonsum in der Corona-Zeit, obwohl hierzu seit Oktober 2022 eine durch das Bundesgesundheitsministerium geförderte Querschnittsstudie (FN 4, Link) vorliegt. Untersucht wurden die Auswirkungen der COVID-19 Pandemie auf den Substanz- und Medienkonsum sowie auf das psychische Wohlbefinden von 14-21jährigen, zudem wurden Risikofaktoren für einen gesteigerten Konsum identifiziert. Hier sind die Ergebnisse einer Online-Befragung von 18.189 Jugendlichen und jungen Erwachsenen:

Gestiegener Alkoholkonsum

Demnach tranken 33 % der befragten Jugendlichen und 31,5 % der jungen Erwachsenen nach eigenen Einschätzungen während und aufgrund der Corona-Pandemie häufiger Alkohol, oder begannen zu trinken (6,5 % der Jugendlichen, rd. 1 % der jungen Erwachsenen). Während gleichzeitig ein größerer Teil der Erwachsenen in dieser Zeit den Alkoholkonsum reduzierte, war das nur bei einem geringen Teil der Jugendlichen der Fall. Und während der (selbst eingeschätzte) Alkoholkonsum von Jugendlichen vor der Pandemiezeit deutlich niedriger lag als der von Erwachsenen, tranken Jugendliche gegen Ende der Pandemie ähnlich häufig und viel wie Erwachsene. Betrachtet nach Geschlechtern berichteten Mädchen häufiger von einer Zunahme des Alkoholkonsums, sowohl bei der Häufigkeit als auch bei der Menge.

Gestiegener Zigaretten- und E-Zigarettenkonsum

48 % der befragten Jugendlichen und 43 % der jungen Erwachsenen rauchten aufgrund der Pandemie häufiger oder begannen damit (16 % der Jugendlichen, 6 % der jungen Erwachsenen). Auch hier steigerte sich der Konsum von Jugendlichen im Verlauf der Pandemie deutlich und erreichte schließlich das Niveau junger Erwachsener. Mädchen und junge Frauen berichteten deutlichere Steigerungen als Jungen und junge Männer Eine ähnliche Entwicklung, wenn auch in abgeschwächter Form, gab es beim Konsum von E-Zigaretten (häufiger rd. 24 % der Jugendlichen sowie auch der jungen Erwachsenen, mit dem Rauchen begonnen haben 11,6 % der Jugendlichen und 8,5 % junge Erwachsene), auch hier mit einem signifikant höheren Anteil an Mädchen / Frauen.

Shisha rauchten rd. 25 % der Jugendlichen häufiger, ca. 8,5 % begannen mit dem Konsum; rd. 12 % rauchten seltener oder gar nicht mehr (4,05 %). Bei den jungen Erwachsenen gab es etwa gleich viele Personen, die häufiger bzw. seltener rauchten (jeweils rd. 21 %, Beginn mit dem Shisha-Rauchen rd. 3,5 %, aufhören 6.5 %); es zeigten sich keine Geschlechtereffekte.

Deutlich gestiegener Cannabis-Konsum

Jeweils rund 44 % der befragten Jugendlichen sowie jungen Erwachsenen konsumierten aufgrund der Pandemie häufiger Cannabis oder begannen mit dem Konsum (13,5 % der Jugendlichen, 5 % der jungen Erwachsenen). Nur ca. 9 % der Jugendlichen und 12 % der jungen Erwachsenen konsumierten seltener Cannabis oder hörten ganz auf (3,9 % Jugendliche / 5,2 % junge Erwachsene). Es zeigte sich kein Einfluss des Geschlechts auf die pandemiebedingten Veränderungen des Cannabiskonsums.

Andere illegale Drogen

Bei 34,5 % der befragten Jugendlichen und rd. 29 % der jungen Erwachsenen ist der Konsum anderer illegaler Substanzen (außer Cannabis) häufiger geworden. 15,5 % der Jugendlichen und 4,5 % der jungen Erwachsenen haben in der Pandemie-Zeit begonnen, Drogen zu konsumieren, wogegen rd. 11 % der Jugendlichen und rd. 13 % der jungen Erwachsenen den Konsum reduzierten. 7.8 % der Jugendlichen und rd. 6,5 % der jungen Erwachsenen haben aufgehört, Drogen zu konsumieren. Es zeigten sich auch hier keine Geschlechtereffekte.

Medikamente

Rd. 23 % der Jugendlichen und rd. 26 % der jungen Erwachsenen nahmen häufiger Medikamente, rd. 19 % bzw. 20 % nahmen eine erhöhte Dosis. Der Anteil an Mädchen, die nach eigenen Angaben in der Pandemiezeit mehr Medikamente einnahmen, war signifikant höher (27,7 % häufiger, 22 % höhere Dosis) im Vergleich zu den Jungen (14.5 % häufiger, 11,6 % höhere Dosis), ebenso wie der Anteil an Frauen (30 % häufiger, 22,5 % höhere Dosis) verglichen mit 19,5 % und rd. 16 % der Männer.

Konflikte und häusliche Gewalt

Ein weiterer Befund aus der BMG-geförderten Drogenstudie: Rd. 76 % der befragten Jugendlichen berichteten, zuhause wiederholt schlechte Stimmung erlebt zu haben. Rd. 39 % davon gaben an, dass dies erstmalig während der Pandemiezeit vorkam. Eine Verschlechterung in der Coronazeit gaben 54 % an. Von physischen Gewalterfahrungen berichteten etwas mehr als 19 % der befragten Jugendlichen. Davon erlebten 38,5 % diese Gewalterfahrungen erstmalig während der COVID-19-Pandemie.

Mediensucht

Rund 85 % der befragten Jugendlichen sowie auch der jungen Erwachsenen gaben an, dass sie digitale Medien aufgrund der Covid-19-Pandemie häufiger nutzten (Jugendliche: 38 % „eher mehr“, rd. 47 % „viel mehr“; junge Erwachsene: 39 % „eher mehr“, 46 % „viel mehr“). Lediglich 3 % der Jugendlichen und 2,6 % der jungen Erwachsenen nutzten digitale Medien in dieser Zeit weniger. Jeweils rund 12 % gaben an, dass die Pandemie keinen Einfluss auf ihre Medienzeit hatte. In beiden Altersgruppen gaben weibliche Personen häufiger an, digitale Medien mehr genutzt zu haben (jeweils rd. 89 % Mädchen und junge Frauen) als männliche Personen (80,5 % bzw. 81,4 %).

Dass Häufigkeit und Nutzungsdauer digitaler Medien bei Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen in der Pandemiezeit teilweise deutlich gestiegen sind, bestätigen auch andere Studien, ebenso dass in diesem Zusammenhang auch Fälle von Internet-, Gaming- oder Social Mediasucht zugenommen haben (FN 5, Link). Dabei zeigten sich „Zusammenhänge der übermäßigen Internetnutzung mit depressiven Symptomen sowie Gefühlen von Einsamkeit und Angst“ (vgl. FN 4, Link, S. 4).

Bekannt ist auch, dass Bewegungsmangel und stark gestiegene Bildschirmzeiten ein ganz wesentlicher Faktor für die teilweise starken Gewichtszunahmen und Erkrankung an Adipositas sind, sowie dass übersteigerter Medienkonsum zu verringertem Wohlbefinden bis hin zu psychischen Verstimmungen beitragen kann.

Verschiedene Studien belegen, dass auch die digitale Lehre in Schule und Studium zu einer deutlichen Steigerung des Medienkonsums geführt hat. Den Jugendlichen und jungen Erwachsenen zufolge fiel dadurch die Hemmschwelle, dann auch in der Freizeit weiter und vermehrt digitale Medien zu nutzen. Auch wurde von gleichzeitiger Nutzung verschiedener Medien berichtet, was auch während des Unterrichts stattfand. Eine gesteigerte Mediennutzung aufgrund der Pandemie war positiv mit einem problematischen aktuellen Medienkonsum assoziiert (vgl. FN 4, Link, S. 74).

Dass zu viel Medienkonsum bei Kindern nicht gesund ist, wissen wir eigentlich schon lange – bis vor der Pandemie empfahlen Ärzte und staatliche Stellen stets eine Begrenzung der täglichen und wöchentlichen Bildschirmzeiten (FN 6, Link). Zu wenig wurde jedoch bislang darauf geachtet, dass die Kinder durch zu viel Gucken, Daddeln und Surfen auch in ihren sozialen Kompetenzen stark eingeschränkt werden können – mit der Folge einer Überforderung von Lehrern und Mitschülern. So identifizierte ein Artikel im Deutschen Ärzteblatt bereits im Jahr 2007 dysfunktionales Sozialverhalten (z.B. erhöhte Aggressivität), verminderte soziale Intelligenz, soziale Ängstlichkeit, Einsamkeit, depressive Verstimmtheit und vermeidende Problemlösungsstrategien (Realitätsflucht) als Risikofaktoren übermäßigen Medienkonsums (FN 7, Link).

Hier geht es weiter im Text zu unseren Forderungen

Links und Fußnoten:

FN 1
Abschlussbericht der interministeriellen Arbeitsgruppe der Bundesregierung „Gesundheitliche Auswirkungen auf Kinder und Jugendliche durch Corona„, veröffentlicht 8.03.2023

sowie beim Deutschen Bundestag

FN 2
Ludwig-Walz, H.; Dannheim, I.; Pfadenhauer, L.M.; Fegert, J.M.; Bujard, M. (2022) Increase of depression among children and adolescents after the onset of the COVID-19 pandemic in Europe: a systematic review and meta-analysis. Child Adolesc Psychiatry MentHealth 16, 109.

FN 3
DAK Kinder- und Jugendreport 2022

FN 4
Abschlussbericht zu Projekt „Auswirkungen der Corona-Pandemie auf den Substanz- und Medienkonsum Jugendlicher und junger Erwachsener in Deutschland“, Institut für Therapie- und Gesundheitsforschung IFT-Nord, Leitung Prof. Dr. Reiner Hanewinkel, Kiel Oktober 2022

FN 5
Artikel im Deutschen Ärzteblatt von Januar 2023: Pandemie führte zu Anstieg bei Internet- und Mediensucht

FN 6
Artikel im Deutschen Ärzteblatt von März 2018: Neue pädiatrische Empfehlungen für einen gesunden Medienkonsum, in Zusammenarbeit mit der Drogenbeauftragten der Bundesregierung

FN 7
Artikel im Deutschen Ärzteblatt 2007; Egmond-Fröhlich, Andreas van; Mößle, Thomas; Ahrens-Eipper, Sabine; Schmid-Ott, Gerhard; Hüllinghorst, Rolf; Warschburger, Petra, Übermässiger Medienkonsum von Kindern und Jugendlichen: Risiken für Psyche und Körper, Deutsches Ärzteblatt 2007

FN 8
Kinder zum Olymp! Initiatoren: Kulturstiftung der Länder, Bundeszentrale für politische Bildung

FN 9
https://www.ndr.de/nachrichten/schleswig-holstein/Schule-Sportunterricht-in-der-Krise-zu-wenig-Fachlehrer,sportunterricht110.html